MÜNCHEN Das Elend des Krieges Dr. Reinhard Erös weiß genau, welcher Horror über die Bevölkerung eines bombardierten Landes hereinbricht. Als Arzt hat er in Kriegsgebieten wie Afghanistan, Ruanda, Bosnien oder Ost-Timor den Verletzten geholfen. ÄP-Mitarbeiterin Alexa Fuchswinkel sprach mit ihm über das Leid der Irakis.
ÄP: Bomben auf Bagdad. Was empfinden Sie?
Erös: Tiefes politisches Unbehagen. Es ist die Regierung eines befreundeten Landes, welche dort zerstört, unschuldige Menschen verletzt und ihren Tod in Kauf nimmt.
Können Sie die Gründe für den Krieg verstehen?
Aus der Sicht der US Regierung kann ich den Krieg “rational” verstehen; teilen kann ich die Begründung weder politisch noch moralisch.
Wie ist die medizinische Versorgung im Irak?
Nach dem achtjährigen Golfkrieg gegen den Iran, dem zweiten Golfkrieg 1991, einem zwölfjährigen UN-Embargo und der rücksichtslosen Innenpolitik Husseins ist aus dem einst auch medizinisch blühenden Land die Vorhölle geworden: 170 000 Säuglinge und Kinder sind durch die Zerstörung von Elektrizitäts-, Wasserwerken und Kläranlagen an den Folgen von Typhus und Cholera gestorben. 300 000 Kinder sind durch die Folgen des zwölfjährigen UN-Embargos wegen der Einschränkung der Ernährung und der Versorgung mit Medikamenten ums Leben gekommen. Drei Millionen Kinder sind unter- und mangelernährt. Tausende Kinder sind an Karzinomen erkrankt und verstorben, deren Ursachen wohl auf den Umgang mit Resten verschossener Uran-Munition zurückzuführen ist. Von den 25 Millionen Irakis waren 16 Millionen in den vergangenen zehn Jahren auf die Zuteilung von Lebensmitteln angewiesen. 75 Prozent der Menschen sind arbeitslos.
Experten rechnen mit bis zu 400 000 Flüchtlingen. Was erwartet die Menschen?
Prognosen sind schwierig. Aber selbst bei einem nur wenige Wochen dauernden Krieg erwartet die Menschen Hunger, denn die durch das Regime durchgeführte Lebensmittelverteilung von 2 000 kcal pro Person und Tag fällt aus. Durch fehlendes Trinkwasser und fehlende Hygiene erwartet sie auch die Gefahr von epidemischen Erkrankungen. Und es erwartet sie eine noch weiter zerstörte medizinische Infrastruktur. Als Erste werden die Kinder sterben, dann die alten Menschen.
Wirkt sich der Irak-Krieg auf Ihre Projekte in Afghanistan aus?
Zeitgleich mit Beginn des Krieges im Irak hat ein US-geführter Feldzug die bisher massivste Militäroperation seit Ende des Taliban-Regimes im Dezember 2001 gestartet. Vermutlich um ein Zeichen zu setzen gegenüber den im Land wieder erstarkten fundamentalistischen Kräften. Bis dato wirkt sich der Irak-Krieg aber auf unsere medizinischen und schulischen Projekte in Afghanistan nicht aus. Unsere Mitarbeiterinnen wir beschäftigen insgesamt 350 Afghaninnen als Ärzte und Lehrer sind allerdings besorgt, dass der Irak-Krieg den fundamentalistischen und extrem frauenfeindlichen Kräften Auftrieb gibt. Ich befürchte aber, dass die für den Wiederaufbau Afghanistans vorgesehenen Gelder von fünf Milliarden Dollar in den Irak umgeleitet werden, weil das Interesse der Medien die Haupttriebfeder für Politiker auch in der humanitären Hilfe an Afghanistan erlischt.
Was werden die Folgen des Krieges sein?
Im gesamten Nahen und Mittleren Osten wird über Jahrzehnte ein irreparables weltanschauliches Zerwürfnis zwischen der arabisch-islamischen und der westlich-abendländischen Welt existieren. Die mittel- und langfristigen Schäden gerade im Bereich des Gesundheitssystems und die weltweiten ökologischen Schäden sind derzeit nicht absehbar. Ich befürchte, dies und nicht der 11. September 2001 markiert den Beginn eines Dritten Weltkrieges.