Kinderhilfe Afghanistan

Afghanistan

Main Echo, Aschaffenburger Anzeiger, 11.11.2003

Minenkunde vor Mathamatik 

Bundeswehrarzt Dr. Reinhard Erös berichtete über Afghanistan


Für sein humanitäres Engagement und die Gründung der »Kinderhilfe Afghanistan« wurde der Regensburger Dr. Reinhard Erös in diesem Jahr mit dem »Europäischen Sozialpreis zu Stolberg« ausgezeichnet. Als Gastredner beim Rotary-Club Aschaffenburg berichtete der engagierte Arzt im Aschaffenburger Hof« von seinen Erfahrungen in Afghanistan.

Der Bundeswehrarzt Dr. Erös hat über zwanzig Jahre Erfahrung im Bereich humanitärer und Katastrophenhilfe in Indien, Bangladesch, Kambodscha, Pakistan, Afghanistan, Iran, Albanien, Ruanda und Ost-Timor mit UNO, NATO und Internationalen Hilfsorganisationen. Erös schaffte es in dem kurzweiligen Vortrag, dem Auditorium ein Stück der fremden Kultur in Afghanistan näher zu bringen und das Land und die Leute von einer anderen Sichtweise zu beleuchten als es die meisten aus der Presse kennen.

Seit 1985 engagiert sich Dr. Erös in und für Afghanistan. 1987 - hatte er sich für mehrere Jahre von der Bundeswehr ohne Geldbezüge beurlauben lassen und lebte mit seiner Frau und seinen vier Söhnen bis Ende 1990 in der afghanisch-pakistanischen Grenzstadt Peschawar. Er arbeitete als ärztlicher Leiter einer deutschen Hilfsorganisation im afghanischen Kriegsgebiet. Über 180000 Kranke und Verletzte pro Jahr wurden in Afghanistan unter schwierigen und gefährlichen Kriegsbedingungen medizinisch versorgt. Etwa 25000 afghanische Mädchen besuchen die von der Kinderhilfe errichteten Schulen. »Zurzeit stampfen wir ungefähr alle acht Wochen eine neue Schule aus dem Boden«, sagte Erös.
Die »Kinderhilfe Afghanistan« ist kein eingetragener Verein, sondern eine private Initiative, getragen von Erös, seiner Frau Annette, den 'fünf Kindern und zahlreichen deutschen Spendern. Die Kinderhilfe hat unter anderem in Dschalalabad die größte Schule des Landes und sogar eine Computerschule für Frauen errichtet.

Afghanen und Deutsche

Erös betonte, dass die Schule in Afghanistan eine nationenbildende und friedenssichernde Funktion habe. Man müsse den Terror mit der Schule bekämpfen. Ganz oben auf dem Stundenplan stünden deshalb nicht Mathematik, Englisch oder Deutsch, sondern »Education for Peace«, also Friedensunterricht und Minenkunde. »Die Generation, die das Land nun aufbauen soll, hat 23 Jahre lang Krieg erlebt. Wie kann man da erwarten, dass diese Menschen plötzlich demokratisch denken?«

Zwölf Prozent der Bevölkerung seien getötet worden, 18 Prozent verstümmelt. »Jeder siebenjährige afghanische Bub kann eine Handgranate besser bedienen als ein deutscher Bundeswehrsoldat.« Durch die Minenkunde sollten die Kinder die Sprengkörper erkennen lernen, die immer noch massenhaft in Afghanistan zu finden seien.

Die Motivation von Erös für seinen Einsatz ist vielfältig. »Zum einen ist es sicher die erlebte Dankbarkeit und das
Gefühl, dass man hilft, einen Staat wieder aufzubauen«, sagte er. Doch er spricht speziell im Fall Afghanistan auch von einem »patriotischen Grund«. Die Afghanen seien den Deutschen immer verbunden gewesen, Deutsch sei vor dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan 1979 eine der meist verbreiteten Sprachen gewesen.

»Auch zur Wiedervereinigung haben die Afghanen beigetragen«, verblüffte Erös. Sie hätten Ende der achtziger Jahre als einzige die sowjetische Armee geschlagen und durch diese Schwächung Russlands den Fall der Mauer wahrscheinlicher gemacht. Anschläge von Afghanen fürchtet Erös bei seinen zahlreichen Aufenthalten dort nicht. »Das einzige, wovor ich Angst habe, sind die Amerikaner«, sagte er und fügte hinzu: »Aber nicht weil ich ein Anti-Amerikaner bin. sondern weil die Amerikaner Dinge tun, die gefährlich sind.«

Auch an den Hilfsstrategien übte Erös Kritik. Es dürfe nicht nur Kabul gefördert werden: »Es zieht immer mehr Menschen in die Stadt, weil nur dort die Hilfsgelder hinfließen. Innerhalb weniger Jahre ist Kabul von 500 000 auf drei Millionen Einwohner gewachsen«. Es drohe die Verslummung. »In Kabul gibt es alles, was es in Aschaffenburg auch gibt. Außerhalb Kabuls gibt es nichts.« Bis in Afghanistan wieder Stabilität einkehre, bedürfe es einer gesamten Generation, die den Krieg
nicht mehr selbst miterlebt habe. »Zehn bis 15, Jahre«, schätzte Erös. »Soviel Geduld muss man haben.«
AlexanderKnuppertz

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