Fränkischer Tag vom 18.3.2004
Kulturelle Kompetenz statt Kolonialherrenart
Der Arzt und Afghanistan-Kenner Reinhard Erös sprach in Schwürbitz über Umgang mit anderen Kulturen
von Matthias Einwag
SCHWÜRBITZ. Auf Einladung von Rektor Erwin Reus referierte der Regensburger Arzt Dr. Reinhard Erös am Dienstagabend im Pfarrzentrum. Inhalt seines äußerst packenden Referats: Wie sollten sich deutsche Entwicklungshelfer, Ärzte, Soldaten oder Lehrer bei humanitären Einsätzen im Ausland verhalten?
Vor Angehörigen des Elternbeirats und des Lehrerkollegiums der Volksschule sprach der Mediziner zur Thematik „Interkulturelle Kompetenz“ – also darüber, wie Deutsche im Auslandseinsatz mit fremden Kulturen umgehen sollten.
Reinhard Erös, der als Oberstarzt der Bundeswehr vor einem Jahr in den Ruhestand getreten ist, hat viele Krisenregionen in der Welt gesehen. Ein Land aber prägte und faszinierte ihn am meisten: Afghanistan. Ende der 80er Jahre hatte sich der Militärarzt Erös für drei Jahre von der Bundeswehr beurlauben lassen, um im Auftrag ziviler Hilfsorganisationen nach Afghanistan zu gehen. Damals tobte dort der Krieg der afghanischen Mudschaheddin gegen die russischen Truppen. Erös verliebte sich in Land und Leute. Die Liebe zu Afghanistan und die Notwendigkeit, das von jahrzehntelangem Krieg und Bürgerkrieg zerstörte Land wieder aufzubauen, brachten ihn und seine Frau Annette 1998 dazu, auf eigene Faust eine Organisation zu gründen: die „Kinderhilfe Afghanistan“. Mittlerweile umfasst dieses Hilfswerk zwölf Schulen, in denen knapp 20 000 Kinder unterrichtet werden. Tendenz: steigend.
Zu Beginn dieses Jahres wurde vom Ehepaar Erös die „Sir-Peter-Ustinov-Schule“ eröffnet, die von dem berühmten Filmschauspieler und Unicef-Boschafter Sir Peter Ustinov mitfinanziert wird. Zur Eröffnung der Schule war auch der deutsche Drei-Sterne-General Götz Gliemeroth anwesend, der bis vor einigen Tagen Kommandeur der IFOR-Truppen gewesen ist. Gliemeroth war von dem Hilfswerk so beeindruckt, dass er spontan einen hohen Betrag spendete; mit diesem Geld kann noch im Frühjahr eine weitere Schule gebaut werden.
„Tee mit dem Teufel“
Die Erfahrungen, die Erös während seines ersten Aufenthalts in Afghanistan machte, schilderte er in seinem sehr spannend geschriebenen Buch „Tee mit dem Teufel“. In Schwürbitz las er ein Kapitel aus diesem Buch, worin er beschreibt, wie fatal es sich auswirken kann, wenn ein deutscher Arzt sich nicht ausreichend mit der Kultur jenes Landes vertraut macht, in dem er helfen will: Der fiktive „Dr. Häberle“ in Erös' Schilderung stolpert ahnungslos von einem Fettnäpfchen ins nächste und merkt gar nicht, wie sich die Stimmung in der archaisch geprägten afghanischen Dorfgemeinschaft gefährlich gegen ihn wendet, so dass er nur mit Mühe, List und viel Diplomatie aus der tödlichen Gefahr gerettet werden kann.
Reinhard Erös, der „Interkulturelle Kompetenz“ an der Universität Bochum sowie an zwei Fachhochschulen lehrt, wies anschließend detailliert und facettenreich auf die Fehler dieses Arztes hin. Er zeigte auf, wie vorsichtig deutsche Ärzte – oder auch Lehrer – sein müssen, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie handelten „nach Kolonialherrenart“. Denn eines sei bei allen Missionen dieser Art immer zu bedenken: Die deutschen Entwicklungshelfer, Soldaten, Ärzte, Ingenieure oder Lehrer, haben vergleichsweise viel Geld zur Verfügung – und sie haben mit ihrem Pass ein „Rückflugticket“ in der Tasche.
Bei Militärs gehe es längst nicht mehr darum, einen Krieg zu führen, sondern einen Staat wieder aufzubauen in einem vom Krieg zerstörten Land. Um dieses Ziel zu erreichen, sei die Fähigkeit, „sich kulturadäquat zu verhalten“ sehr wichtig, so Erös. Man gebe den Einheimischen lediglich Hilfestellungen, man stehe ihnen zur Seite.
Kleine Spende – große Hilfe
Reinhard Erös erhielt großen Beifall für seine zweistündigen Ausführungen. Rektor Erwin Reus überreichte dem Arzt 220 Euro, die von den Schwürbitzer Schülern gespendet worden waren; der Elternbeirat übergab ebenfalls eine Spende für die „Kinderhilfe Afghanstan“. Dr. Erös, der am heutigen Donnerstag wieder nach Afghanistan fliegen wird, dankte erfreut und sagte, der Wert dieses Geldes müsse in Afghanistan mit 50 multipliziert werde, dort hätten 220 Euro eine Kaufkraft wie hierzulande etwa 10 000.