Fränkischer Tag vom 19. Juni 2004 Die Tinte der Schüler ist wertvoller als Blut Dr. Reinhard Erös engagiert sich seit 20 Jahren in Afghanistan — Hilfe für Frauen und Kinder von Eva Schmelmer
HERZOGENAURACH. Zu Herzen oder besser, an die Nieren, ging der Diavortrag über die politische und humanitäre Lage in Afghanistan, den der Regensburger Militärarzt Dr. Reinhard Erös am Donnerstagabend in der Aula des Gymnasiums hielt.
Ganze drei Stunden fesselte der Regensburger Träger des Bundesverdienstkreuzes mit detaillierten Informationen und faszinierenden, oft auch schockierenden Bildern über das geschundene Land. Stolz darauf, eine solch prominente Persönlichkeit am Gymnasium zu Gast zu haben, begrüßte Schulleiter Dr. Michael Stadelmann den Bundeswehrarzt Dr.Reinhard Erös, der sich mit seinen über zwanzig Jahren Erfahrung im Bereich humanitärer und Katastrophenhilfe in Afghanistan und Pakistan, aber auch in Indien, Bangladesch, Kambodscha, Iran, Albanien, Ruanda und Ost-Timor mit UNO, NATO und Internationalen Hilfsorganisationen einen Namen gemacht hat. In zahlreichen Fernsehsendungen war Erös bereits gefragter Gast, und sein 2002 erschienenes Buch „Tee mit dem Teufel” ist ein Bestseller geworden. Für seinen einzigartigen persönlichen humanitären Einsatz in den verschiedenen Krisengebieten wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. - Alles andere als verklärende Erzählungen aus 1001 Nacht sind die Erlebnisberichte von seinen zahlreichen Hilfseinsätzen in Afghanistan und die Schilderung der beklagenswerten und komplizierten Verhältnisse im Land, vielmehr schonungslose Aufklärung, mit der er auch so manch medienproduziertes Zerrbild geraderücken will.
Ein raues Land. Illustriert mit teils sehr schönen, teils auch erschreckenden Dias gewährte Erös den Zuhörern tiefe Einblicke in die geographischen, historisch-politischen und kulturellen Eigenarten des in jeder Hinsicht rauen Landes und versuchte, Verständnis für die Eigenart seiner Bewohner zu wecken. Über die unterschiedlichen Mentalitäten der drei verschiedenen Volksstämme und die beiden Landessprachen Farsi und Paschtu berichtet er, aber auch über die geographischen Bedingungen.
Naturbedingte Härte Die Überwindung von 7000 Meter Höhenunterschied von den Gebirgsregionen des Hindukusch im Nordosten bis hin zu niedrigen Regionen und von rund 100 Grad Temperaturunterschied bleibe nicht ohne Auswirkung auf die Menschen, die in dieser unwirtlichen Gegend wohnen, und verlange ihnen eine naturbedingte Härte ab, so Erös. Gepaart mit einem tief verwurzelten Patriotismus und dem in Jahrtausenden gewachsenen Grundsatz, ihr Land und seine Menschen - auch Gäste - bis zum letzten Blutstropfen zu schützen, schaffe Bedingungen der Kriegsführung, über die sich die Sowjetunion besser hätte informieren sollen, bevor sie sich in einen zehnjährigen so verlustreichen Krieg gestürzt hat, den der damit nicht vertraute Goliath gegen den David schließlich verlor, so Erös.
Minutiös und schonungslos beschrieb Erös, wie Afghanistan zum Spielball von Großmächten im Kampf um Machtpositionen und wirtschaftliche Vorteile wurde, insbesondere für die Sicherung des Transfers von Erdöl und Erdgas. Unvorstellbare Greueltaten, Tote und Verletzte, Folter und Vergewaltigung und der Zerstörung einer ganzen Kultur seien der Preis für die Durchsetzung dieser Interessen gewesen, so Erös. Klare Worte sprach der Militärarzt auch zum Thema Terrorismusbekämpfung. „In Afghanistan wird die USA nicht fündig werden”, prophezeite er, „denn längst sind die Gesuchten in Pakistan, wohin die USA aufgrund der dort vorhandenen Atombomben noch nie einen Fuß gesetzt haben und dies auch künftig nicht tun.” In diesem Zusammenhang kritisierte Erös auch die Milliarden von Dollar, die die USA hierfür jährlich hier vergeudete. Mit nur einem Bruchteil dieser Summe könnte stattdessen dass Land wieder aufgebaut werden, so Erös. Aus aller nüchternen und er-schreckenden Berichterstattung über die politische und humanitäre Misere des Landes blitzt stets seine Liebe zum afghanischen Volk und seiner Kultur unleugbar durch. Der Arzt weiß, wovon er redet, denn wie kein anderer kann er auf das fundierte Wissen seiner langjährigen persönlichen Erfahrung bei den vielen Hilfseinsätzen dort zurückgreifen. Bereits seit 1985 engagierte er sich in Afghanistan, um den Kriegsopfern dort zu helfen. 1987 ließ er sich vom Dienst bei der Bundeswehr freistellen, um mit seiner Frau und vier Kindern im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet zu leben, wo er unter Bedrohung für sich und seine Familie Tausende von Menschen medizinisch betreute, teils in Höhlenkliniken im Gebirge. Dabei wurde er mit unfassbaren Grausamkeiten konfrontiert, verlor einen Sohn auf tragische Weise. Doch er verschaffte sich selbst bei den Taliban Respekt, weil er im Krieg gegen die Sowjetunion unter Lebensgefahr die Zivilbevölkerung ärztlich versorgte. Erös ist Soldat und Arzt, aber er will nicht schießen, sondern heilen. Sein zweites Anliegen ist die Bildung, insbesondere für die benachteiligten Frauen und Kinder. So entschloss er sich, auch nach Ende seiner offiziellen Einsätze weiter zu helfen. 1998 gründete er mit seiner Frau Annette die „Kinderhilfe Afghanistan”. Die private Familieninitiative unterstützt Kinder und Frauen in Afghanistan, besonders in den Ostprovinzen und den grenznahen Flüchtlingslagern, sowie in Pakistan mit medizinischen und schulischen Einrichtungen. Im Unterschied zu den großen Hilfsorganisationen, die fast ausschließlich in Kabul tätig sind, möchte Erös die Land-und Kleinstadtbevölkerung zu unterstützen, die über 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Ohne Medienzugang Die Probleme hier seien wenig bekannt, beklagt er, denn die Medien berichteten nur, wenn in Kabul geschossen würde. Wie aber beispielweise Wahlen durchgeführt werden können, wenn die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung keinerlei Zugang zu öffentlichen Medien hat, also von den Wahlen gar nicht erfahren könne, solche Probleme blieben von der Öffentlichkeit großteils unbeachtet. Zahlreiche Gesundheitsstationen und Mutter-Kind-Kliniken sind bis heute entstanden und über ein Dutzend Schulen, mit denen er gerade in ländlichen Regionen meist die einzige Alternative zu Koranschulen bieten kann. „Die Tinte der Schüler ist wertvoller als das Blut der Märtyrer” steht über den Eingängen der Schulen. Neben den Landessprachen Farsi und Paschtu, Englisch, Mathematik, Physik, Chemie, Geographie, Geschichte, Gesundheitslehre und Religion steht Friedenserziehung ganz vorne auf dem Fächerkanon - und Minenkunde. Denn immer noch sei das Land von den sowjetischen Mienen übersaht, die täglich den Tod von rund zehn Menschen, meist Kindern, verursachten. Ihre komplette Beseitigung werde rund 380 Jahre dauern, so Erös. Er weiß nicht nur, wovon er redet, sondern auch, was er will, und wer ihn sieht, hat keinen Zweifel, dass er es durchzusetzen vermag. Daher lässt er sich auch von niemandem in seine Arbeit hineinreden. Um unabhängig zu bleiben, finanziert er trotz entsprechender Angebote seine Arbeit weder mit öffentlichen Geldern noch über einen Verein.
Mit auf die Reise „Ich will weder Berichte schreiben, noch mit Vorstandsmitgliedern die Notwendigkeit dieser oder jener Aktion diskutieren”, so Erös. „Wer meine Projekte unterstützt und sich über die Verwendung seines Geldes informieren möchte, den lade ich ein, mich auf meinen Reisen zu begleiten und die Arbeit vor Ort anzuschauen.” Dies tun dann auch viele der privaten Förderer, Organisationen und Unternehmen und auch Prominente, so beispielsweise der verstorbene Unicef-Botschafter Sir Peter Ustinov. Es sei ihm wichtig, so Erös, dass alle Gelder ohne Abzüge von Verwaltungskosten ihrer Bestimmung, also den Hilfsprojekten, zugute kommen. Es gibt daher in Deutschland auch nur ehrenamtliche Hilfskräfte, die Buchführung wird von der Regensburger Caritas übernommen. Auch seine Werbung macht Erös selbst. Ein Webauftritt - von einer engagierten Erlangerin kostenlos erstellt und betreut - informiert über die Arbeit der Kinderhilfe. Vor allem wirbt er für seine Arbeit in Form der unzähligen Vorträge, die er unermüdlich in der ganzen Republik hält, wenn er gerade nicht in Afghanistan ist. Über 500 Vorträge hat er bereits in Schulen und verschiedenen Institutionen in Deutschland gehalten, noch einmal so viele im übrigen Europa und den USA. Nach seinem ausführlichen, leidenschaftlichen Vortrag stand Reinhard Erös dem sehr interessierten Publikum noch bereitwillig für die Beantwortung der zahlreich gestellten Fragen zur Verfügung und verabschiedete sich erst nach ganzen drei Stunden, nicht ohne dem Herzogenauracher Gymnasium zu versprechen, noch einmal wieder zu kommen und vor den Schülern zu sprechen. |
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