Kinderhilfe Afghanistan

Afghanistan

Die Milch der neuen Denkungsart
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4.2.2003 Frankenpost

VON MICHAEL THUMSER

HOF - Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über; zumal, wenn er Reisen getan hat wie Reinhard Erös: Der kann erzählen! Und er hört gar nicht mehr auf damit. 60 Minuten bittet er sich aus - am vergangenen Montagabend in der Galerie im Gerstenboden bei einer ,,Lesung'', die keine ist -; 120 Minuten werden daraus. Wovon sein Mund in sich überstürzender Ausführlichkeit manuskriptlos übergeht, das sind das Land und die Leute, die sein Herz erfüllen: Afghanistan - ein Staat, den wir dem topografisch ominösen ,,Nahen Osten'' zuschlagen und der Einfachheit halber für ,,exotisch'' halten. Erös kennt sich da viel genauer aus.

Helfer ist er. Aber die säuselnde Sentimentalität eines Karlheinz Böhm erlaubt sich der 54-Jährige nicht. Sein Helfersyndrom ist ,,Helferethos'', wie er's nennt - das eines Pragmatikers; als Fallschirmspringer bei der Bundeswehr, als Stabsarzt später, endlich als sich selbst nicht schonender Reisender von einem Elendsgebiet der Welt zum anderen wurde er dazu. Die brutale, politisch zwielichtige bis undurchsichtige Gegenwart Afghanistans hat er aus der über viertausendjährigen Geschichte seiner Kultur zu begreifen gelernt. Dem Hofer Publikum führt er in der Windeseile seines freien Vortrags die historischen, geo- und demografischen Kompliziertheiten des unwegsamen Riesenlandes zwischen siedender Wüste und ewig eisigem Hochgebirge vor Augen.

Der jüngsten Vergangenheit gehört freilich das Hauptinteresse: dem Einmarsch der Sowjets 1979 und ihrem Abzug zehn Jahre später; dem Bürgerkrieg; und der Schreckensherrschaft der 1994 aus Pakistan eindringenden Taliban; deren geistiger, gesellschaftlicher, kultureller Unterdrückungsstrategie; dem auf afghanischem Gebiet ausgefochtenen Antiterrorkrieg der USA gegen Osama bin Laden und die Al- Kaida - auch sie nisteten sich als Fremdkörper im Land ein. So reichhaltig strotzt Reinhard Erös' Wissen von Details, dass dem Zuhörer leicht der Kopf schwirrt vor lauter Namen, Fakten, Daten.

Mit den einfachen Menschen hält es Erös, mit der zwar strenggläubig islamischen, aber keineswegs aggressiv ,,islamistischen'' Bevölkerung. Auf deren Rücken wurden die Kriege ausgetragen und ,,lauter negative Weltrekorde'' errungen: nie dagewesene Kinder- und Müttersterblichkeit, sechs Millionen afghanische Flüchtlinge in Iran und Pakistan, zwölf Millionen scharfe Minen und Blindgänger, ,,für jeden zweiten Afghanen eine''. Größtenteils in Dörfern und kleinen Städten lebt die Bevölkerung - 8000 Siedlungen aber liegen in Schutt und Asche, ,,mit Napalm abgefackelt''. Allerdings beschränkt sich die Hilfe der knapp tausend internationalen Hilfsorganisationen fast nur auf die Hauptstadt Kabul: ,,Ein humanitärer Overkill.''.

Erös indes und seine ehrenamtlichen deutschen Mitarbeiter fassen dort zu, wo andere nicht gern hingehen. Seine Organisation ,,Kinderhilfe Afghanistan'' richtete im Osten des Landes und in pakistanischen Flüchtlingslagern Gesundheitsstationen ein, pflegt und heilt in Mutter-Kind-Kliniken, gibt aus ,,Eisernen Kühen'' Milch an Kinder aus. Beinah am wichtigsten sind dem robusten Helfer die von ihm gegründeten Schulen; elf sollen es bald sein. Der Hassdoktrin der Taliban- Koran-Schmieden stellen sie, als ,,Friedensschulen'', eine weltoffen-humanistische Denkungsart entgegen. In ihnen eröffnet sich, ,,wie ein Sechser im Lotto'', auch Abertausenden von Mädchen die Aussicht auf eine Ausbildung, von der sie bislang menschenverachtend abgeschnitten waren. ,,Die saugen alles auf wie Schwämme.''

Zur Lesung wird der Vortrag nicht. Aber ein Buch hat Erös geschrieben und in den Gerstenboden mitgebracht. Den Titel verdankt es der Bereitschaft seines Autors, notfalls ,,Tee mit dem Teufel'' zu trinken, um den Taliban Zugeständnisse abzutrotzen. Dem Mann mit dem großen Herzen, eisernen Willen und übersprudelnden Mund hat eingangs Helga Schindler vom einladenden Kunstverein eine Zeile Erich Kästners als Lebensmotto zugewiesen: ,,Es gibt nichts Gutes, außer man tut es''. Wirklich lässt sich Erös, ganz Mann der Tat, nicht bremsen - es sei denn durch den jüngsten, dritten Irakkrieg: ,,Einiges spricht dafür, dass dabei auch viel von unserer Arbeit kaputt geht.''

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