Kinderhilfe Afghanistan

Afghanistan

Mittelbayerische Zeitung Regensburg vom 6.10.2003

Friedensunterricht und Minenkunde die Hauptfächer
Afghanistan-Helfer und Stolberg-Preisträger Dr. Reinhard Erös berichtete im
Regensburger Presseclub über seine Erfahrungen
 

REGENSBURG (mas). Für sein humanitäres Engagement und die Gründung der "Kinderhilfe Afghanistan" wurde der Regensburger Dr. Reinhard Erös am Samstag mit dem "Europäischen Sozialpreis zu Stolberg" ausgezeichnet. Zwei Tage vor der Ehrung war der engagierte Arzt zu Gast im Regensburger Presseclub und berichtete von seinen Erfahrungen in Afghanistan.

"Das ist für uns ein Haufen Geld", sagte Erös zu dem mit 10 000 Euro dotierten Europäischen Sozialpreis, den er sofort wieder in neue Hilfsprojekte in Afghanistan investieren will. Etwa 25 000 afghanische Mädchen besuchen die von der Kinderhilfe errichteten Schulen. "Zur Zeit stampfen wir ungefähr alle acht Wochen eine neue Schule aus dem Boden", sagte Erös. Die "Kinderhilfe Afghanistan" ist kein eingetragener Verein, sondern eine private Initiative, getragen von Erös, seiner Frau Annette, den fünf Kindern und zahlreichen deutschen Spendern. Die Kinderhilfe hat unter anderem in Dschalalabad die größte Schule des Landes und sogar eine Computerschule für Frauen errichtet.

Erös betonte, dass die Schule in Afghanistan eine nationenbildende und friedenssichernde Funktion habe. Man müsse den Terror mit der Schule bekämpfen. Ganz oben auf dem Stundenplan stünden deshalb nicht Mathematik, Englisch oder Deutsch, sondern "Education for Peace", also Friedensunterricht, und Minenkunde. "Sie müssen bedenken, dass die Generation, die das Land nun aufbauen soll, 23 Jahre lang Krieg erlebt hat. Wie kann man da erwarten, dass diese Menschen plötzlich demokratisch denken?" Zwölf Prozent der Bevölkerung seien getötet worden, 18 Prozent verstümmelt. "Jeder siebenjährige afghanische Bub kann eine Handgranate besser bedienen als ein deutscher Bundeswehrsoldat." Durch die Minenkunde sollten die Kinder die tödlichen Sprengkörper erkennen lernen, die immer noch massenhaft in Afghanistan zu finden seien.

Seit über zwanzig Jahren engagiert sich der pensionierte Mediziner Erös in humanitärer und Katastrophenhilfe unter anderem in Kambodscha, Pakistan, Ruanda und Ost-Timor. Die Motivation für seinen Einsatz ist vielfältig. "Zum einen ist es sicher die erlebte Dankbarkeit und das Gefühl, dass man hilft, einen Staat wieder aufzubauen", sagte er. Doch er spricht speziell im Fall Afghanistan auch von einem "patriotischen Grund". Die Afghanen seien den Deutschen schon immer sehr verbunden gewesen, Deutsch sei vor dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan 1979 eine der meist verbreiteten Sprachen gewesen. "Auch zur Wiedervereinigung haben die Afghanen beigetragen", verblüffte Erös. Sie hätten Ende der achtziger Jahre als einzige die sowjetische Armee geschlagen und durch diese Schwächung Russlands den Fall der Mauer wahrscheinlicher gemacht. Anschläge von Afghanen fürchtet Erös bei seinen zahlreichen Aufenthalten dort nicht. "Das einzige, wovor ich Angst habe, sind die Amerikaner", sagte er und fügte hinzu: "Aber nicht weil ich ein Anti-Amerikaner bin, sondern weil die Amerikaner Dinge tun, die gefährlich sind." Er selbst sei vor einiger Zeit von amerikanischen Soldaten für einen Einheimischen gehalten und wegen einer Nichtigkeit mit der Waffe bedroht worden. Man habe ihn zudem übelst beleidigt. Ein Afghane greife in solch einer Situation zur Waffe, um sich zu verteidigen. "Und dann ist in den Medien wieder die Rede von einem Anschlag afghanischer Terroristen", kritisierte Erös.

Vor diesem Hintergrund geht er mit den westlichen Medien allgemein ins Gericht. Es werde der Eindruck vermittelt, dass sich Afghanistan im Kriegszustand befände. Dem sei aber nicht so. Auch an den Hilfsstrategien übt er Kritik. Es dürfe nicht nur Kabul gefördert werden: "Es zieht immer mehr Menschen in die Stadt, weil nur dort die Hilfsgelder hinfließen. Innerhalb weniger Jahre ist Kabul von 500 000 auf drei Millionen Einwohner gewachsen", berichtete Erös. Es drohe die Verslummung. "In Kabul gibt es alles, was es in Regensburg auch gibt. Außerhalb Kabuls gibt es nichts."

Bis in Afghanistan wieder Stabilität einkehre, bedürfe es einer gesamten Generation, die den Krieg nicht mehr selbst miterlebt habe. "Zehn bis 15 Jahre", schätzte Erös. "Soviel Geduld muss man haben."

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