Kinderhilfe Afghanistan

Afghanistan

Mittelbayerische Zeitung vom 11.12.2004

Ich vertrage mich nie mit den Regierungen”
Der Afghane Khazan-Gul Tani kämpfte gegen König, Sowjet-Truppen und Taliban / In Deutschland studiert


PESCHAWAR/REGENSBURG. Auf die Frage nach seinem Alter kann Khazan-Gul Tani nur herzlich lachen. „Der Beamte hat einfach den 1. Mai 1945 in den Pass geschrieben. Aber ich kann auch zwei Jahre jünger oder zwei Jahre älter sein.” Der Paschtune mit dem ehrfurchtgebietenden Vollbart spricht ein akzent- und fehlerfreies Deutsch. Sein Leben würde jedem Roman zu höchster Ehre gereichen. Er war Student in Frankfurt, Revoluzzer, Lehrer, Mudschahed, Bauer und Gefangener mehrerer afghanischer Regime. Heute zeichnet der 14-fache Vater in seiner Heimatprovinz für den Wiederaufbau des Erziehungswesens verantwortlich. In Khazan-Gul Tanis Vita spiegeln sich die vergangenen 30 Jahre afghanischer Geschichte wider.
Bei einem MZ-Gespräch in der westpakistanischen Stadt Peschawar schildert der Sohn einer bitter armen Familie seinen Werdegang. Der Vater starb früh, die Mutter musste die sieben Kinder alleine versorgen. „Ich habe als Bub oft gebettelt”, gesteht Khazan-Gul Tani. Die meisten anderen Familien hätten es dank Bestechung geschafft, ihren Kindern den Schulbesuch zu ersparen. „Doch wir hatten kein Geld”, erinnert sich Khazan-Gul Tani, „und so musste ich zur Schule, obwohl meine Mutter furchtbare Angst hatte, dass die Lehrer mich zu sehr verprügeln.”
Doch der gewitzte Junge entpuppte sich als hoch intelligenter und strebsamer Schüler. „Ich war immer Klassenbester und habe meiner Mutter oft vorgelesen.” Obwohl er nachmittags das Vieh hüten musste, schaffte er einen Top-Schulabschluss und durfte von seinem Heimatdorf bei Khost an die Oberschule in die Hauptstadt Kabul wechseln. Auch dort erzielte er Spitzenleistungen und erhielt ein Stipendium für ein Studium in Frankfurt.
Im Jahr 1964 kam Khazan-Gul Tani erstmals nach Deutschland — und ihn erfasste ein Kulturschock. „Ich kannte weder Fernseher noch Eisenbahn und — noch schlimmer — wilde, unmoralische Frauen und Männer küssten sich auf offener Straße.” Eigentlich wollte er Mathematik und Physik studieren, doch der junge Paschtune geriet in politisch aufregende Zeiten. An den Universitäten riefen die Studentenführer Rudi Dutschke und Daniel Cohn-Bendit zu Massendemonstrationen gegen den „Muff unter den Talaren und die Regierung auf. Die legendäre 68er-Bewegung trieb ihrem Höhepunkt entgegen. Der angehende Naturwissenschaftler aus Ost-Afghanistan stürzte sich auf die Schriften von Marx, Lenin, Mao und Che Guevara. Bald stand für den Idealisten fest: „Ich muss eine Revolution gegen den König anzetteln.”
Deshalb ließ er 1973 seine deutsche Frau samt kleinem Sohn zurück und kehrte wieder nach Afghanistan zurück. In seiner Heimatregion Khost begann er, als Lehrer zu arbeiten. Im gleichen Jahr wurde in Kabul König Zahir Schah vom Thron geputscht. In den ländlichen Provinzen wuchs der Widerstand gegen das neue Regime in der Hauptstadt.
Zum „Innenminister seines Stammes” aufgestiegen, wurde Khazan-Gul Tani 1978 erstmals ins Gefängnis geworfen. Nach acht Monaten ließ man ihn frei. Er ging in die Berge, um den bewaffneten Kampf aufzunehmen. Im Jahr 1979 intervenierte die Sowjetunion in Afghanistan, um die moskautreue Regierung in Kabul zu retten.
Jahrelang bekriegte Khazan-GuI Tani als Mudschahed die feindlichen sowjetischen Truppen. Nach deren Abzug 1989 brachte er als einfacher Bauer die Familie durch. Mit zwei Frauen zeugte er weitere 13 Kinder.
Auch den Taliban, die Mitte der 90er Jahre in Afghanistan einen Steinzeit-Islamismus einführten, galt der Mann mit dem Studium in Deutschland als gefährlicher Feind und sie sperrten ihn ein. Ist er in der Haft gefoltert worden? Khazan-GuI Tanis sanftes Lächeln gefriert: „Darüber möchte ich nicht reden.” Derzeit arbeitet arbeitet der Mann mit dem bewegten Leben für die "Kinderhilfe Afghanistan, die von dem ehemaligen Mintrachinger Bundeswehr-Arzt Dr. Reinhard Erös gegründet worden ist. Mit deutschen Spendengeldern baut Khazan-Gul Tani Schulen in der Provinz Khost. Er ist vom Umstürzler zum tief gläubigen Moslem konvertiert und hat den Glauben an die Machbarkeit einer Revolution verloren. Den Kindern eine gute Bildung zu geben, hält er heute für die wirkungsvollste Bekämpfung von Fanatismus und Verbrechen.
Mit blitzenden Augen beklagt Khazan-Gul Tani die rüden Razzien der US-Truppen in seiner Heimat. Würde er am liebsten wieder zum Gewehr greifen? „Ich bin alt und will nicht nach Guantanamo deportiert werden”, lautet die vielsagende Antwort. Und mit kopfschüttelnder Selbstironie fügt er hinzu: „Irgendwie vertrage ich mich nie mit Regierungen." VON HARALD RAST, MZ

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Khazan-Gul Tani berichtete am 13. Dezember 2004 um 19.00 Uhr im Albrecht Altdorfer Gymnasium in Regensburg, Minoritenweg 33, aus seinem abenteuerlichen Leben und stellte gemeinsam mit Dr. Reinhard Erös die Arbeit der „Kinderhilfe Afghanistan” vor.

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