Kinderhilfe Afghanistan

Afghanistan

Mittelbayerische Zeitung 28. Dezember 2004

Ein Licht der Hoffnung in der Stadt der Dunkelheit

Harald Rast

Im Osten Afghanistans gibt es keinen Strom – doch der Oberpfälzer Reinhard Erös baut unermüdlich neue Schulen

JALALABAD/REGENSBURG. Nach Sonnenuntergang versinkt Jalalabad in fast völliger Finsternis. Nur die Scheinwerfer der wenigen Autos strahlen hell. Vor den Marktständen scharen sich die Menschen um winzige Feuer. Petroleumlampen funzeln trostlos. Einige Glückliche können sich einen der bierkastengroßen tragbaren Generatoren leisten. Der erzeugt mit seinem Rasenmähermotor zumindest genug Strom, um schwache Glühbirnen zu versorgen.
In Jalalabad bewahrheitet sich aufs Schrecklichste ein oft belächelter Werbespruch der deutschen Energie-Wirtschaft: Ohne Strom läuft nichts. Kein Wasser, keine Abwasser-Entsorgung, kein Fernseher, keine Straßenlaternen für 200 000 bis 300 000 Einwohner. Nur das Handy und batteriebetriebene Radios funktionieren.
In der afghanischen Provinz-Hauptstadt kriecht nachts in jedem Menschen aus der westlichen Zivilisation eine Urangst hoch, derer man sich im Zeitalter der Allgegenwart elektrischen Lichtes nur selten bewusst wird: Die angeborene Furcht vor undurchdringlicher Dunkelheit.
Die Stromversorgung von Jalalabad – bereits in den 60er Jahren durch deutsche Siemens-Wasserkraftwerke am Kabul Fluss sichergestellt- wurde zum Großteil während des Kampfes gegen die Sowjetunion zerstört. Den „Rest“ besorgten dann im Oktober/November 2001 die US Bomber beim „Anti-Terror-Krieg“.
Nach über 20 Jahren Krieg regiere die Finsternis aber nicht nur die Städte, klagen viele Afghanen, „sie hat auch von unseren Köpfen Besitz ergriffen“.
Doch in den Augen Tausender Kinder von Jalalabad leuchtet die Hoffnung. Sie können wieder zur Schule gehen. In ihren primitiven aber sauberen Klassenzimmern vergessen sie für einige Stunden Not und Dunkelheit — und legen den Grundstein für eine bessere Zukunft.
Das verdanken sie auch der Tatkraft eines Oberpfälzers. Der gebürtige Tirschenreuther Dr. Reinhard Erös hat 1998 die „Kinderhilfe Afghanistan“ gegründet. Sie betreibt mehr als zwei Dutzend Schulen und Gesundheitsstationen in Afghanistan, die nur aus Spenden finanziert werden.
Sämtliche Verwaltungs- und Spendenangelegenheiten übernimmt seit Beginn der Aktivitäten der „Kinderhilfe Afghanistan“ der Caritas Kreisverband Regensburg. Dadurch entstehen für die Spender und die „Kinderhilfe Afghanistan“ keinerlei Kosten für Verwaltung und Bürokratie.
Jeder gespendete Euro geht unmittelbar in die afghanischen Projekte.

Unermüdlich eilt der in Mintraching (Lkr. Regensburg) wohnende frühere Bundeswehr-Arzt durch Deutschland, um bei Vorträgen und Interviews für seine private Hilfsinitiative zu werben. Dabei spult er jährlich etwa 100 000 Kilometer ab — plus unzählige Flugmeilen. Denn Erös pendelt regelmäßig zwischen seiner Heimat und Afghanistan hin und her, um sich von den Fortschritten bei seinen Projekten zu überzeugen.
Begleitet von der MZ und einem ZDF-Team unter der Leitung des Irak-Korrespondenten Ulrich Tilgner, weihte Erös im November den Erweiterungsbau für die Bibi Hawa-Mädchenschule in Jalalabad ein und legte den Grundstein für eine Dorfschule weit außerhalb der Provinz-Hauptstadt. Inzwischen besuchen über 30 000 afghanische Schüler die Einrichtungen der „Kinderhilfe Afghanistan“.
Erös kennt die Region seit mehr als 20 Jahren. Während der sowjetischen Besatzung zwischen 1979 und 1989 hat er hier immer wieder heimlich auf seiten der Mudschahedin als Arzt gearbeitet und viele Menschenleben gerettet. Seine Verbindungen aus der Zeit des Dschihad helfen ihm bei seinem Aufbau-Werk, er kennt die Mentalität der Menschen genau. Dass der „Ungläubige“ aus Deutschland sie im Heiligen Krieg gegen die Russen unterstützt hat, haben die paschtunischen Honoratioren ihm nicht vergessen. Das öffnet dem 56-Jährigen viele Türen und Möglichkeiten.
„Die Tinte des Schülers ist heiliger als das Blut des Märtyrers“, betont Erös in jeder seiner Reden vor Politikern, Dorfältesten, Lehrern und Schülern. Er spielt damit auf den erfolgreichen Kampf der Afghanen gegen die übermächtigen sowjetischen Invasoren an. Nun gelte es, einen neuen Dschihad gegen Dummheit und Unwissenheit zu führen.
Rund 6000 Schülerinnen werden an der Allai-High School in Jalalabad unterrichtet. Etwa 190 Lehrerinnen können mit den dort erzielten Einkommen ihre Familien ernähren. Sogar Computer-Unterricht ist möglich. Die modernen Rechner wurden von Conrad Electronic in Hirschau gespendet. Der Unterricht in der völlig überfüllten Schule erfolgt in zwei Schichten. Dennoch müssen Klassen in den Schulhof ausweichen.
Besonders stolz ist Erös aber auf seine Schulbauten in den Dörfern der angeblich so gefährlichen Ostprovinzen. Bislang wagt sich keine andere Hilfsorganisation aus den afghanischen Städten hinaus. Mit dem Geländewagen quält Erös sich fast drei Stunden über Schlaglochpisten, um bei der Grundsteinlegung in dem Dorf Markhikel dabei zu sein.
Dort leben die Menschen wie in einem fernen Jahrhundert. Ein Ochse zieht den Ein-Schar-Pflug auf den Terrassen-Feldern. Es gibt keine Autos oder Maschinen. Die Dorfältesten bereiten Erös einen herzlichen Empfang. Die Schule der „Kinderhilfe Afghanistan“ wird in den kommenden Monaten direkt neben die Moschee und die vorhandene Taliban-Schule gebaut. Die lokalen Autoritäten waren von sich aus an die „Kinderhilfe Afghanistan“ herangetreten, um das Bildungsmonopol der religiösen Fundamentalisten mit ihren primitiven Lernzielen in ihrem Dorf zu brechen.
So werden aus den Lehmhütten in Markhikel bald auch alle Mädchen in die neue Schule strömen. Teilweise kommen die Kinder täglich zu Fuß aus bis zu 15 Kilometer entfernten Dörfern. So gibt es in Zukunft immerhin Bildung an Orten wo ein Stromanschluss noch auf Jahrzehnte hinaus ein Wunschtraum bleiben wird.

nach oben

Hinweis: Vergrößern und Verkleinern vieler Bilder durch Anklicken möglich I Impressum I Kontakt           I  Design: optipage