Moosburger Zeitung vom 18. Dezember 2004
Dr. Reinhard Erös von der "Kinderhilfe Afghanistan" berichtete über Anti-Terror-Krieg
Moosburg. Er hat mittlerweile die 15. Schule in Afghanistan eingeweiht, gebaut und betrieben ausschließlich mit privaten Spenden. Beim jüngsten Besuch von Dr. Reinhard Erös von der "Kinderhilfe Afghanistan" in seiner ehemaligen Heimatstadt Moosburg standen aber einmal nicht seine Hilfsprojekte im Vordergrund, sondern vielmehr die Frage, was der Anti-Terror-Krieg dem Land am Hindukusch gebracht hat.
Erös sprach am Donnerstag auf Einladung dreier Organisationen im Pöschlbräu: der Solidarität Gesicht zeigen, des Eine-Welt-Ladens und der Gesellschaft für bedrohte Völker, wie Reinhard Kastorff informierte. Er sprach Familie Erös Bewunderung dafür aus, dass sie angepackt hat und ihr Hilfsprojekt mit großem persönlichen Einsatz betreibt.
Der Wiederaufbau in Afghanistan bestimmt das Leben der Familie Erös seit vielen Jahren, das gab der Referent unumwunden zu. Viele Wochen im Jahr verbringen er und seine Frau Annette in Afghanistan, um vor Ort dafür zu sorgen, dass die Spendengelder richtig verteilt werden. Und wenn das Ehepaar daheim ist, dann reist es von Vortrag zu Vortrag, von Fernsehauftritt zu Interview, um die Werbetrommel zu rühren für die "Kinderhilfe Afghanistan", die mittlerweile in den gefährlichen Ost-Provinzen 15 Schulen betreibt, dort, wo die großen internationalen Hilfsorganisationen nicht hingehen. Erst vor fünf Wochen wurde die jüngste Schule eingeweiht.
"Das Unheil begann mit dem Einmarsch der Russen", schilderte Dr. Erös die Geschichte eines Landes, das über 4000 Jahre nie erobert worden ist, auch nicht zuletzt von der weltgrößten Armee. Seit dem 11. September 2001 führen die Amerikaner dort jedoch einen sündteuren Anti-Terror-Krieg, angesichts dessen sich die Einheimischen fragen, ob dieser Krieg wirklich gegen den Terror oder nicht vielmehr gegen den Islam geführt wird, warum er sich gegen die Taliban richtet und nicht gegen Opium und War-Lords, ob westliche Demokratie nicht jahrtausendealte afghanische Kultur vernichtet.
Erös schilderte geographische Hintergründe ebenso wie soziologische Grundlagen und geißelte, dass westlichen Soldaten ins Land geschickt wurden, die viel zu wenig von Geschichte und Kultur Afghanistans wüssten. Der ehemalige Oberstarzt der Bundeswehr verglich den amerikanischen "war on terror" mit seinem Fachgebiet: "Man bringt den Patienten um, wenn man keinen sauberen Befund hat, keine ordentliche Diagnose gestellt hat und eine übereilte Therapie einleitet."
Er erinnerte an die "55 goldenen Jahre " Afghanistans unter dem letzten Monarchen und daran, dass unter ihm die Beziehungen zu Deutschland sehr gut waren. Das mache sich noch heute in der Affinität der Afghanen zu Deutschland bemerkbar: "Da nutzt unsere Außenpolitik ihre Einflussmöglichkeiten viel zu wenig." Aber auch die Medien wurden kritisiert: Kein Mensch erfahre, dass in Afghanistan beim Kampf gegen angebliche Terroristen mehr amerikanische Soldaten ihr Leben ließen als im Irak. Und dass sich die GIs auch in Afghanistan aufführten wie die Axt im Walde: "Für die sind alle Menschen Terroristen, die sich wehren."
Zugleich brach Dr. Erös eine Lanze für die afghanische Spielart des Islam, die tolerant, gastlich und liebenswert sei und kein bisschen missionarisch. Der dörfliche Volksglaube sei Bestandteil der Kultur gewesen und erst von der Taliban-Bewegung - die 1994 im benachbarten Pakistan von saudi-arabischen Religionsgelehrten unter den Augen der USA gegründet wurde - verkehrt worden in eine intolerante, rigide religiöse Bewegung, die mit Terror zur Tugend kommen wollte. "Es war alles verboten, was Spaß macht", sagte Erös, aber Ziel der Taliban sei lediglich ein eigener Gottesstaat, kein Terror nach draußen. Sauber davon trennen müsse man Al-Quaida: "Bei denen ist Terrorismus Selbstzweck. Al-Quaida verfügt über internationale Strukturen, ist finanzkräftig, benutzt Selbstmord als Waffe und zielt auf eine islamische Weltherrschaft." Er zitierte in diesem Zusammenhang eine FBI-Liste, auf der weltweit in 53 Ländern 5000 Terroristen aufgezählt werden - darunter kein einziger Afghane.
Das Fazit des Referenten: "Die Menschen in Afghanistan kennen nur Diktatur oder Anarchie. Die wissen nicht, wie Frieden und Demokratie geht. Das braucht Zeit, dazu braucht es eine neue Generation." 35 Milliarden US-Dollar würde der gesamte Wiederaufbau Afghanistans kosten, rechnete Reinhard Erös vor, 45 Milliarden seien bisher für den so genannten Anti-Terror-Krieg von den Amerikanern ausgegeben worden. "Hier werden Taliban gejagt, obwohl sie gar keine Chance mehr haben; in Pakistan dagegen, wo die Taliban bereits in zwei von vier Provinzen an der Macht sind, wo es 50 Atombomben gibt, da schaut man zu."
Im Wissen um all das sieht Dr. Erlös nur neue Chance: Bildung für Kinder, Frauen, Menschen. Er baut und betreibt Schulen, ausschließlich mit afghanischen Mitarbeitern, denn: "Die wissen doch selber, wie das geht." Buben und Mädchen werden bis zur sechsten Klasse gemeinsam unterrichtet, auch in Fächern wie "Erziehung zum Frieden" und Minenkunde, "damit sie angesichts von zwölf Millionen Minen im Land heil in der Schule ankommen".
Nach dem Vortrag statteten Reinhard Erös und seine Frau Annette noch dem Irish Pub einen Besuch
ab, um sich bei Wirt Jörgis Carl zu bedanken. Der sammelt seit langem Geld in einer Spendenbüchse an der Theke und bezahlt damit das Monatsgehalt einer afghanischen Lehrerin an einer Friedensschule.
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