Der Neue Tag vom 15.12.2004
"Minenkunde" und "Frieden" als Schulfächer
Studientag "Afghanistan" am Gymnasium: Dr. Reinhard Erös gibt Hintergrundwissen und will politisches Interesse wecken
Eschenbach. (ly) Von den Schulfächern "Minenkunde" und "Erziehung zum Frieden" haben die elften Klassen des Eschenbacher Gymnasiums noch nichts gehört. Dr. Reinhard Erös erzählte aber an deren Studientag "Afghanistan" von Schulen, die er am Hindukusch gründet hat, und den beiden Fächern, die er für die wichtigsten im Lehrplan hält.
Die "Kinderhilfe Afghanistan" rief der Oberstarzt a. D. und gebürtige Tirschenreuther vor zwei Jahren ins Leben. Seitdem eröffnet er jeden Monat eine neue Schule. Sein Besuch am Gymnasium war allerdings nicht als Spendenaufruf für sein Projekt gedacht, sondern sein Anliegen war es, das politische Interesse der Schüler zu wecken.
Brutales Aufschütteln
Sein Aufrütteln war sehr brutal. Mit markerschütternden Berichten aus seiner medizinischen Arbeit im kriegsgebeutelten Land schockierte er die Jugendlichen. Nicht am 11. September 2001 habe das Desaster begonnen, sondern am 27. Dezember 1979, als die Sowjets in das Land einmarschierten. Dem gastfreundlichen und bei den "68er Studenten" beliebten Volk sei das Wasser abgegraben und die medizinische Versorgung genommen worden.
1986 kam Erös das erste Mal über Pakistan ins Kriegsgebiet und baute eine mobile Krankenstation auf. Das Bild von einem bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Mädchen - ein Minenopfer - nahm er als Beispiel, um die Problematik aufzuzeigen, wenn diese Kinder in Deutschland behandelt werden. "Sie kommen aus der Vorhölle, sind dann ein halbes Jahr im Paradies und werden anschließend wieder in die Vorhölle geschickt", prangerte er das Verbrechen an der Kinderseele an.
In seinem Vortrag ging er schwerpunktmäßig auch auf die Mentalität des afghanischen Volks ein. Grundlegende Fehler seine seiner Meinung nach gemacht worden, als die Sowjetunion geschlagen aus dem Staat abrückte. Das Land verschwand von der öffentlichen Bildfläche: Chaos und Anarchie regierten - bis die Taliban kamen. Osama bin Laden lernte Dr. Erös als angenehmen Nachbarn in den 80er Jahren kennen. Trotzdem schätzt er ihn als gefährlich ein.
Tinte heiliger als Blut
"Wenn wir vor 13 Jahren das Land aufgebaut hätten, wäre uns der 11. September erspart geblieben. Das ist jetzt eure Welt und eure Zukunft!" Sein Aufruf war es, sich für Politik zu interessieren und sich daran zu beteiligen. "Ihr werdet mit dem Abitur zur Elite des Volkes gehören, und ihr müsst die Geschicke leiten", gab er den 17-Jährigen mit auf den Weg.
Von den Schülern und Lehrern bekam er eine Spende über 400 Euro für sein "Kinderhilfe Afghanistan". Sein Engagement für eine bessere Zukunft ist die Erziehung der afghanischen Kinder in Friedensschulen mit einer neuen Wertevermittlung. Die gründet auf einem Satz Mohammeds: "Die Tinte eines Schülers ist heiliger als das Blut eines Märtyrers." Dieser Satz steht auf Englisch über jedem Eingang zu einer Friedensschule.
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