Oberpfalznetz vom 15.12.2004
Nur Zuschauer an der "Heroinstraße"
Dr. Erös über Rolle der Bundeswehr in Afghanistan - Klischees vom Land am Hindukusch zerstört
Weiden. (eie) "Es bewegt keiner seinen Hintern aus Kabul raus." Dr. Reinhard Erös lässt kein gutes Haar an der Berichterstattung der Medien aus Afghanistan. Hart ins Gericht geht er mit der Weltmacht USA. Und auch die Rolle der deutschen Soldaten direkt an der "Heroinstraße" sieht der ehemalige Bunderwehrarzt überaus kritisch.
Auf Einladung der Volkshochschule sprach der Leiter der privaten "Kinderhilfe Afghanistan" am Tag der Menschenrechte in der Regionalbibliothek über das Land, in dem er dreiviertel des Jahres verbringt. In seinem eineinhalbstündigen Referat verblüffte Dr. Erös mit Fakten und Einschätzungen, die so gar nicht in das von unseren Medien und der US-Propaganda gezeichnete Bild des Landes am Hindukusch passen.
In den 80er Jahren war er Nachbar des "Teufels" gewesen: Den Tee mit Osama bin Laden beschrieb er bereits in einem Buch. Islamisches Musterland? Afghanistan ist das Grab vieler Menschen und vieler Großmachtträume. Der Referent ließ die blutige Geschichte des Landes Revue passieren. Jahrhundertelang schützte der Hindukusch (wörtlich "Mörder der Hindus") die Afghanen vor den östlichen Nachbarn. Die Engländer erlitten ihr "Stalingrad" im 19. Jahrhundert beim Einmarsch.
Und von 1979 bis 1989 traf die Sowjetarmee der "absolute GAU". Der schmachvolle Rückzug trug nach Einschätzung von Dr. Erös wesentlich zum Kollaps der UdSSR bei. "So haben eineinhalb Millionen getötete Afghanen mit ihrem Blut die deutsche Wiedervereinigung mitfinanziert", meinte der Referent. Was das Land jetzt brauche, sei der Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur. "Für gerade mal 30 Milliarden Euro kann dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt werden", zeigte sich Afghanistankenner Erös überzeugt. "Wenn uns das gelingen würde, könnte dort ein islamisches Musterland entstehen."
"Toleranter Volks-Islam"
Der Referent beschrieb den traditionellen Islam in Afghanistan als "toleranten Volks-Islam", der geradezu das Gegenteil des aggressiven "Dschihad-Islam" sei. Mit einem prosperierenden Afghanistan - geschaffen mit westlicher Hilfe - würden die Menschen in anderen islamischen Staaten eine Alternative zu den meist diktatorischen islamischen Regimen sehen. "Das wäre der beste Schutz vor Terrorismus."
Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die Hilfsorganisationen "dort hingehen, wo es am nötigsten ist". Man muss den Leuten "zeigen, dass man ihnen helfen will. Dann ist es auch nicht gefährlich", sagte der Referent aus eigener Erfahrung.
"Er mag ja ein Hundesohn sein, aber es ist mein Hundesohn": Die Doppelmoral US-amerikanischer Großmachtpolitik zeigt nach Auffassung von Dr. Erös dieser Ausspruch eines amerikanischen Offiziers. Es ging um die Taliban - allerdings einige Zeit vor dem 11. September 2001. Der Referent beschrieb das Szenario folgendermaßen: In unheiliger Allianz hätten sich einst Pakistan, Saudi-Arabien und die USA zusammengefunden, um eigennützige Ziele zu verfolgen. Die in Pakistan gut ausgebildeten Taliban-Kämpfer sollten für die USA das Ass im Ärmel gegen die Sowjets sein. Pakistan sah die Truppe als Mittel an, sich Afghanistan als 5. Provinz einzuverleiben. Und für die Saudis sollten die religiös indoktrinierten Taliban dort einen sunnitisch-mahabitischen Gottesstaat errichten.
Mit dem 11. September jedoch machten die Amerikaner "eine 180-Grad-Wende". Der Rest sei bekannt. Mit kostenlosen Getreidelieferungen hätten USA und UNO vor kurzem die Getreidebauern ruiniert. So sei der Opiumanbau die einzige Möglichkeit der Menschen auf dem Land, Geld zu verdienen. Dr. Erös beschrieb den "unmöglichen Zustand", dass Drogenfahnder bei uns ihr Leben riskieren, um 50 Gramm Heroin sicherzustellen", während die Bundeswehrsoldaten in Kundus tatenlos mit ansehen müssten, wie "das Zeug per Lkw Richtung Westen transportiert wird".
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