Vergesst das Land am Hindukusch nicht
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16.04.2003 von REINHARD ZWEIGLER
Berlin (OZ) Großer Bahnhof für den deutschen Afghanistan-Helfer Reinhard Erös in Berlin. Der frühere Bundeswehr-Arzt und Initiator der „Kinderhilfe Afghanistan“ durfte unlängst vor dem Bundestags-Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit über seine langjährigen Erfahrungen in dem vom Krieg heimgesuchten Land berichten. Der Appell war eindringlich: „Vergesst nicht das geschundene Land am Hindukusch!“
Mit der Hinwendung zum Kriegsland Irak könnten nicht nur die weltweite Aufmerksamkeit, sondern auch die Spendenbereitschaft und die Hilfen für das notleidende Afghanistan „hinten runter fallen“, warnte der Oberpfälzer, der als Arzt in dem asiatischen Land arbeitete.
Vor vier Wochen ist Erös aus dem bergigen Ost-Afghanistan zurück nach Deutschland gekommen. Fast täglich telefoniert er nun mit seinen Mitarbeitern, die in Dschalalabad seit 1998 eine Mädchenschule betreiben. Und zwar eine äußerst erfolgreiche. In den letzten Jahren ist die Zahl der Schüler von 1000 auf 4000 und die der Lehrer von 40 auf 180 geklettert, insgesamt arbeiten 400 Frauen in der Schule, berichtete Erös stolz. Ein weiteres Schulprojekt für einige Hundert Mädchen und eine Dorf-Praxis mit zwei afghanischen Ärzten hat er in dem Dorf Zawa initiiert. Das liegt nur etwa fünf Kilometer von der einst stark umkämpften Bergfestung Tora Bora, in denen US-amerikanische Spezialkräfte monatelang nach dem Terroristen-Chef Osama bin Laden suchten.
Die verharmlosend als „Kollateralschäden“ bezeichneten Opfer unter der Zivilbevölkerung hat Erös hautnah miterlebt. Und er hat zusammen mit seinen einheimischen Mitarbeitern geholfen, wo er nur konnte. Sein Engagement für die Opfer hat ihm sogar die Hochachtung der Taliban beschert.
Doch seit im Irak Bomben fielen, hat sich auch in Afghanistan die Situation geändert. Taliban-Kämpfer, die nach der Invasion untergetaucht waren, erheben wieder ihr Haupt.
Mit der Ermordung eines Schweizer Mitarbeiters des Internationalen Roten Kreuzes haben sich die fundamental-islamischen Taliban in Erinnerung gebracht. Erös Mitarbeiter sind besorgt über das Wiederaufleben der Islamisten. Viele Frauen tragen erneut die traditionelle Burka, das Schleiergewand. Die Taliban-Hochschule in Akora Katak habe einen Zulauf wie nie, registrierte der Arzt.
Dennoch verbindet Erös mit dem Land am Hindukusch eine „echte Liebesbeziehung“. Er schwärmt von den Menschen: „Sie sind wild, kampfesmutig und ungeheuer gastfreundlich.“ Der unbezwingbare Wille nach Unabhängigkeit und die fast übermenschliche Geduld sind Gegensätze, die die Afghanen charakterisieren. So wie Wüsten und Gebirge, Hitze und Eis, die das karge und zugleich malerische Land am Hindukusch kennzeichnen.
„Die Deutschen genießen in Afghanistan höchstes Ansehen.“ Und die Gebäude seiner Hilfsorganisation seien gut sichtbar schwarz-rot-golden bemalt und daneben die afghanische Flagge. „Das ist die beste Splitterschutzweste“, meint der Oberpfälzer lächelnd.