Humanitäre Hilfe durch Militär nur eingeschränkt möglich
Vertrauen der Bevölkerung unverzichtbar
(Morihiko Kotani, Korrespondent der Mainichi Shimbun, Japanische Tageszeitung vom 2.11.2007)
Der Berliner Korrespondent Morihiko Kontani arbeitet für die japanische Tageszeitung "Mainichi Shimbun". Bevor er im Oktober nach Afghanistan reiste, traf er sich mit Dr. Reinhard Erös, um sich im Gespräch mit einem erfahrenen Afghanistanexperten kompetent auf die Reise vorzubereiten.
Am 2. November 2007 erschien seine Reportage über das Treffen mit Dr. Reinhard Erös und den Besuch vor Ort :
Humanitäre Hilfe durch Militär nur eingeschränkt möglich
Vertrauen der Bevölkerung unverzichtbar
Die Bundeswehr im Mandat der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) in Afghanistan begleitend, sammelte ich Material darüber, wie vom Stützpunkt aus in der Region die Verwaltungsfähigkeit gestärkt, die öffentliche Sicherheit erhalten und beim Wiederaufbau durch die Provincial Reconstruction Teams (PRT) geholfen wird. Auch in Japan gibt es die Ansicht, dass die Selbstverteidigungskräfte sich an ISAF oder PRT’s beteiligen sollten. Eine öffentliche Debatte darüber ist nötig, wie Afghanistan unterstützt werden kann.
Der pensionierte deutsche Militärarzt Reinhard Erös (59), auch „Albert Schweitzer Afghanistans“ genannt, ist der Ansicht, dass sich die Bundeswehr abgezogen werden sollte und ist auch gegen eine Entsendung der japanischen Selbstverteidigungskräfte. Der Grund ist, dass man vom Militär keine ausreichende Unterstützung der Bevölkerung erwarten kann. In der Sichtweise von Herrn Erös, der seit über 20 Jahren auf grass-roots-Ebene humanitäre Hilfe leistet, steckt ein wahrer Kern, den zu überdenken sich lohnt.
Erös hatte 1985 im von der damaligen Sowjetunion besetzten Afghanistan eine illegale Tätigkeit als Arzt begonnen, in östlichen Gebirgsregionen versteckten, heute von den ehemaligen Machthabern der Taliban genutzten Stützpunkten, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Auch nachdem er im Jahr 2002 als Oberstarzt aus dem Dienst ausschied, errichtete er unter Mithilfe seiner 5-köpfigen Familie, eigenem Geld und Spenden 21 Schulen und Kinderheime, die anstelle der Koranschulen die Bildung gewährleisten sollen. Bevor Erös erneut nach Afghanistan aufbrach, habe ich ihn in seinem Haus in Süddeutschland besucht. Als ich von meinen Plänen sprach, bei einer Begleitung der Bundeswehr Material zu sammeln, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck.
„Die Bundeswehr macht eine Show in Afghanistan. Mit 500 Millionen Euro (soviel hat die Bundesregierung seit 2002 an Hilfsgeldern aufgewendet) hat man bislang in Afghanistan gar nichts erreicht. Ich hätte 10.000 Schulen dafür gebaut. Von 3000 Soldaten sind 2600 eingesperrt, nur 400 dürfen etwas machen und die auch nur selten. Die Effizienz des Einsatzes in Afghanistan ist sehr klein aber das Potential und die Motivation der Soldaten sehr groß.
Aber 90 von 100 Soldaten sagen ‚nie wieder’ weil sie nichts tun konnten.“
Jetzt, wo ich selbst aus Afghanistan zurück gekehrt bin, würde ich nicht sagen, dass Erös’ Kritik vollständig zutreffend ist. Die deutschen Soldaten tun „für das afghanische Volk“ fleißig ihre Arbeit und trotzen der Gefahr. Sie verstehen die afghanische Geschichte und Kultur gut und ihr Ansehen in der Bevölkerung ist nicht schlecht. In der derzeitigen Lage allerdings, da aus Angst vor Terrorangriffen das Lager nur noch in gepanzerten Fahrzeugen verlassen wird und keine fußläufigen Patrouillen in gefährlichen Gegenden mehr durchgeführt werden, sind die Gelegenheiten rar, bei denen man für die humanitäre Hilfe unerlässliches gegenseitiges Vertrauen zu den Menschen aufbauen kann. Indem er sich ausschließlich auf seine persönlichen Beziehungen verlässt, bahnt sich Erös seinen Weg auch in Gebirgsregionen, wo die staatlichen Organe nicht existent sind und hat seine Unterstützung bis dorthin ausgedehnt. Ins häusliche Gästebuch von Erös, der sagt, er habe auch enge Beziehungen zu den Taliban, haben sich unter anderem Regierungsvertreter, Geheimdienstler, Mitglieder von militärischen Spezialeinheiten und hohe Polizeifunktionäre eingetragen.
Vom Aspekt der öffentlichen Sicherheit her, scheint es unterdessen keineswegs sinnlos, dass ausländisches Militär in Afghanistan aktiv ist. Der im nordostafghanischen Kunduz geborene junge Übersetzer der Bundeswehr sagt dazu: „Dem Umstand, dass die Bundeswehr hier ist, haben wir es zu verdanken, dass wir hier in Frieden leben können.“ Im Unterschied zum Süden und Osten, wo heftige Kämpfe mit den Taliban toben, ist es im Norden ruhig. Trotzdem kommt es im Stadtzentrum immer wieder zu Selbstmordattentaten und es passiert auch, dass Polizeieinheiten bei internen Streitigkeiten Raketen abfeuern. Mitglieder des Führungsstabes der Bundeswehr erklären, dass die Wirtschaft sich nur günstig entwickeln kann, wenn der öffentliche Frieden gesichert wird.
Wenn man allerdings auf der Basis der schwer zu beurteilenden öffentlichen Sicherheitslage Militär in Afghanistan stationiert, ist es schwierig, den richtigen Zeitpunkt für den Abzug zu finden. Im von der Invasion der Sowjets 1979 bis zu den Präsidentschaftswahlen 2004 25 Jahre von Kriegswirren geschüttelten Afghanistan, sollte das ausländische Militär nicht zu lange bleiben. Es gibt Hinweis darauf, dass die Bevölkerung in Bezug auf ausländische Armeen ein Trauma besitzt. Nicht zuletzt sind die enormen Kosten, die mit einer Entsendung von Militär einhergehen, ein nicht zu vernachlässigendes Problem.
Deutschland bezahlt für die Nutzung einer Luftwaffenbasis in Termez, einem Ort im nördlich an Afghanistan grenzenden Usbekistan, die Kosten für die Ausbesserung dieser und überführt aus Köln zeitweise stationierte Soldaten und Waren mit Airbussen der Luftwaffe. Der Militärstützpunkt in Kunduz, wo 450 Menschen stationiert sind, ist eine mitten in die Wüste gebaute, moderne Einrichtung. Hier gibt es ein Notfallhospital, wo Operationen durchgeführt werden können, einen 150 Meter tiefen Brunnen, eine 6000Volt-Stromerzeugungsanlage und eine rund um die Uhr von Techniksoldaten überwachte Abwasserreinigungsanlage. Mit anderen Worten, ein Objekt, dass man in Zukunft noch Jahrzehnte nutzen können wird. Und das, obwohl die Mandatsverlängerung zur Entsendung der Bundeswehr vom Parlament jedes Jahr neu beschlossen werden muss. Sollte also Japan auch seine Selbstverteidigungsstreitkräfte entsenden, muss man nicht nur bezüglich der Sicherheit der Truppe, sondern auch hinsichtlich des Kostenfaktors auf einiges gefasst sein.
Natürlich ist ISAF eine Truppe, die durch internationale Zusammenarbeit funktioniert. In Kunduz gibt es noch genügend Platz für Verwaltungs- und Wohngebäude und ein Stabsmitglied sagt: „Wenn Japan kommt, ist es willkommen. Wenn sie sich an den Verpflegungs- oder Reinigungskosten beteiligen, können wir auch Zimmer anbieten.“
Erös ist gegen eine Entsendung der japanischen Selbstverteidigungstruppen und glaubt nicht, dass diese dort etwas bewegen könnten. „Ihr wärt nur eine Hilfstruppe der Amerikaner.“ Und letztere hätten durch die Verwicklung der Zivilbevölkerung in die Kampfhandlungen, den Hass der Afghanen auf sich gezogen. Statt einer Militärentsendung solle man lieber in die Dörfer gehen und Unterstützung leisten, denn da läge die Zukunft Afghanistans. Tatsächlich wartet in den Dörfern viel junges Talent darauf, genutzt zu werden. Ich war verblüfft zu hören, mit welchem Eifer die ambitionierten jungen Leute in den sechs Englischschulen von Kunduz lernten. In Afghanistan tut nicht nur die Verteidigung der öffentlichen Sicherheit durch die Stationierung ausländischen Militärs Not, nach wie vor ist auch ein intensiveres Engagement bei der humanitären Hilfe unverzichtbar. Um hierbei die richtige Balance zu wählen, sind tiefgründiges Verständnis und Einsicht gefragt.