Lindauer Zeitung vom 7. März 2005 Rotarier spenden für die neue Schule Von unserer Mitarbeiterin Benedikta Rothstein LINDAU – Eine Jubiläumsfeier, in der die Informationen über die Lebensumstände in einem von Kriegen erschütterten Land im Mittelpunkt stehen, dürfte Seltenheitswert haben. Doch die acht Rotary Clubs, die das 100-jährige Bestehen von Rotary feierten, taten noch mehr: Sie spendeten über 50 000 Euro für eine Schule in Afghanistan. Mitglied bei einem Rotary Club zu sein, bedeutet mehr als nur Mitglied eines weltumspannenden Netzwerks zu sein, das sich für Bedürftige ein-setzt. Wer das Atrium der Tanner Denkfabrik am Samstagabend betrat, spürte schon nach wenigen Minuten: Die freundschaftlichen Bande unter den Rotariern sind mindestens ebenso wichtig. Die Stimmung war gelöst, es herrschte ein fröhlicher Plauderton. „Aus der Taufe gehoben“ Nur eines lenkte immer wieder die Aufmerksamkeit der Gesprächsrunden ab: Einige Taucher, die sich im Wasserbecken im Zentrum des Atriums tummelten. Die hatten dort allerdings eine wichtige Aufgabe zu erledigen: Schließlich war das Wasserbecken zum Taufbecken umfunktioniert worden. Und die Taucher sollten buchstäblich die neue Schule für Afghanistan „aus der Taufe heben“ – sprich, ein wasserdicht verpacktes Modell vom Grund des Beckens an die Oberfläche schaffen. „Eine klasse Idee“, staunten einige Gäste beeindruckt. Schon am Eingang hatten mehrere Besucher die Chance genutzt, mit zwei afghanischen Lehrkräften ins Gespräch zu kommen und sich über die Bildungssituation in diesem Land informieren zu lassen. Zwei Frauen hörten schockiert, wie wenige ausgebildete Lehrer es nach der Schreckensherrschaft der Taliban noch gebe. Während der von Walter Rundel später moderierten Gesprächsrunde und den ausführlichen Vorträgen von General a. D. Götz Gliemeroth sowie dem Gründer der „Kinderhilfe Afghanistan“, Dr. med.Erös, hätte man eine Stecknadel fallen hören können: So aufmerksam verfolgten die Rotarier die geballten Informationen über die Lebensumstände der Menschen in Afghanistan. Am Ende war sich die Versammlung mit Bernhard Leins, dem Präsidenten des Rotary Clubs Friedrichshafen – der den Scheck von 50 000 Euro an Reinhard Erös übergab – einig: „Wir wissen das Geld bei Ihnen in guten Händen.„ Mit den 50 000 Euro der Rotary-Mitglieder will Erös in den nächsten Monaten die „Rotary Bodensee Friedensschule“ in der Gebirgsregion von Tora Bora gründen. Das Besondere daran: „Die Schule entsteht auf den ausdrücklichen Wunsch der Dorfältesten, die keine von den Taliban aufgedrängte Koranschule in ihrem Bereich haben wollen.“ Beispielhaftes Projekt Initiiert wurde der Zusammenschluss der acht Rotary Clubs von Manfred Güll, dem Präsidenten des Rotary Clubs Lindau Westallgäu. Ihm war das Buch „Tee mit dem Teufel“ von Dr. Reinhard Erös in die Hände gefallen: Darin beschreibt der Arzt seine Arbeit in Afghanistan. Bestärkt von seinem Freund General Gliemeroth, der an diesem Abend in der Tanner-Denkfabrik einen ausführlichen Bericht über die Arbeit der Nato in Afghanistan beisteuerte, hatte Güll nach seiner Buchlektüre den anderen Clubs vorgeschlagen,gemeinsam das Geld für eine neue Schule aufzubringen. Die anderen Präsidenten waren von der Idee, zum Jubiläum etwas „nicht Alltägliches“ mit einer großzügigen Spende zu fördern, begeistert, schilderte Güll. Der Governeur des Distrikts 1930, Dr. Jörg Abigt, war ebenfalls von dem beispielhaften Projekt fasziniert:„Im Feiern tun wir etwas für andere – und das ist ganz im Sinne von Rotary.“ Auch Geigenklänge begeistern Den festlichen Kontrapunkt zu den geballten Informationen und gleichzeitig musikalischen Höhepunkt des Abends setzten die junge Ausnahme-Geigerin Alexandra Soumm, und die koreanische Pianistin Moon Young Kim-Chae, die Soumm am Klavier begleitete. Erös: „Wir führen Krieg gegen die Unwissenheit“ Dr. Reinhard Erös hatte bereits in den 80er-Jahren während des Partisanenkriegs als „Barfuß-Arzt“ jährlich 200 000 afghanische Patienten medizinisch versorgt. Da die Sowjets auf ausländische Ärzte damals ein Kopfgeld ausgesetzt hatten, war die Arbeit noch gefährlicher als heute, berichtete er beim Rotary-Geburtstagsfest. Dem nach Krieg und Taliban-Regime weit verbreiteten Analphabetismus setzt Erös seit 1998 die Arbeit der „Kinderhilfe Afghanistan“ entgegen. Noch unter den Taliban errichtete der Deutsche 1998 in Afghanistan eine reine Mädchenschule. Mittlerweile hat er mit privaten Spenden über ein Dutzend Schulen in den dörflichen Regionen im Osten des Landes gegründet und damit rund 17 000 Kindern – darunter viele Mädchen – den Zugang zu qualifizierter Bildung eröffnet. „Wir führen einen Krieg gegen die Unwissenheit“, formuliert er heute drastisch. Denn der Bundeswehrarzt hat aus seinem Einsatz in zehn Entwicklungsländern gelernt: Medizinische Arbeit macht nur Sinn, wenn die Kinder zur Schule gehen können. Alles andere ist ein Strohfeuer.“ Im Gegensatz zu anderen Hilfsorganisationen, die ihren Einsatz auf die sicherere Hauptstadt Kabul beschränken, konzentriert Reinhard Erös seine Arbeit bewusst auf den gefährlicheren Osten des Landes.Durch ein Mehr an Wissen will der Arzt die Versuche der Extremisten, hier erneut Fuß zu fassen, verhindern:Es soll „Tinte vergossen werden und nicht Märtyrerblut“.
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