Kinderhilfe Afghanistan

Afghanistan


Schwäbische Post, 17.3.2005

Gegen die Dummheit mit Tinte statt Blut

VORTRAGSABEND / Dr. Reinhard Erös über die aktuelle Lage in Afghanistan und das Projekt "Kinderhilfe"

Der Mann ist ein Energiebündel. Seine Leidenschaft sind Afghanistan und die Afghanen. Am Dienstagabend zeichnete Dr. Reinhard Erös, Oberstarzt der Bundeswehr a.D., im Gutenberg-Kasino der SchwäPo ein Bild "der politischen Lage und dessen, was besonderes Engagement dort leisten kann", so Verleger Bernhard Theiss bei der Begrüßung.

VON BEA WIESE

AALEN Sätze wie Maschinengewehrfeuer, die Bilder auf der Leinwand können kaum folgen - die rund 70 Zuhörer schlägt Erös zwei Stunden in seinen Bann. Mitreißend erzählt er, wie er sich als Arzt 1986 für vier Jahre von der Bundeswehr beurlauben ließ, um den Menschen in Afghanistan als Arzt zu helfen: Die sowjetische Besatzungsmacht duldete keine Ausländer, auch nicht als zivile Helfer, so mußte er mit seinen Leuten zu Fuß illegal über die pakistanische Grenze. Märsche über 4 000 Mete hohe Berge, medizinisches Gerät auf dem Rücken: "Wenn man am Patienten war, hatte man 90 Prozent der Arbeit getan."
Erös, ein Stück weit Abenteurer: bei seinen Missionen lernte er das Land, insbesondere die Ostprovinzen, von innen kennen wie nur wenige: diesen Vielvölkerstaat, knapp zwei Mal so groß wie die Bundesrepublik, 25 Millionen Einwohner, zahlreiche Stämme und 28 verschiedene Sprachen, aber doch stets einig, wenn Gefahr von außen droht, so Erös: "Das sind äußerst widerstandsfähige Menschen, die sich nie kolonialisieren ließen." Das kleine Land am Hindukusch ohne Militär, das die Sowjets zu Beginn ihres Einmarsches 1979 schon als 16. Sowjetrepublik gesehen hätten, habe der ruhmreichen sowjetischen Armee "die einzige Niederlage in ihrer 200jährigen Geschichte beigebracht". Nebenbei und ein wenig süffisant erwähnt er, dass auch "die Amerikaner bis heute keinen einzigen Taliban gefangen genommen haben".
Dass der Siegeszug des Islam auch von Afghanistan ausgeht, ist für ihn "ausgemachter Quatsch. Der afghanische Islam war nie missionarisch und ist es bis heute nicht". Im Gegensatz zur Darstellung in den Medien "sind die Taliban in Afghanistan politisch kaputt, die spielen keine Rolle mehr. Aber in Pakistan, insbesondere in den westlichen Grenzgebieten, stehen sie Gewehr bei Fuß, zu Tausenden".
Für den Ex-Soldaten Erös ist es geradezu fatal, dass es derzeit in Afganistan "räumlich nicht getrennt zwei Sorten Militär gibt": 20 000 Amerikaner, die insbesondere in den Ostprovinzen Jagd auf Taliban machten, und die 6 000 Mann starke internationale Sicherheitstruppe, darunter auch 2 500 Bundeswehrsoldaten, die den Auftrag hätten, das Land aufzubauen. Erös: "Wie soll der normale Afghane, üblicherweise Analphabet, wissen, dass der eine ihm helfen will, während der andere nachts sein Dorf gestürmt und die Tür eingetreten hat?"
Das derzeit größte Problem, da schließt er sich der gängigen Meinung an, ist der florierende Opium-Anbau. 25 Millarden Euro sei der Jahres-Ertrag der Heroin-Händler, "der durchschnittliche afghanische Bauer sieht davon vielleicht 2 000 Euro".
Alternativen, so sagt er, lägen nur in der Zerstörung der Schlafmohn-Felder und stattdessen Anbau von Weizen, Mais oder Tee plus Ausgleichszahlungen an die Bauern oder im kontrollierten Aufkauf des Opiums für ausschließlich medizinische Zwecke. Beides müsse politisch, gerichtlich und notfalls militärisch durchgesetzt werden, eine fast unlösbare Aufgabe, denn in den Heroin-Schmuggel "sind die mächtigsten Männer Afghanistans und Pakistans involviert".
Für reichlich machtlos dabei hält er die 15 000 westlichen Entwicklungshelfer in Afghanistan. Wenn er deren Leben und Arbeit schildert, kommt Erös in Rage: "Auch das Botschaftspersonal, die Polizei oder die Bundeswehrsoldaten, die dürfen nicht aus Kabul raus, weil es angeblich zu gefährlich ist. Aber deren Gehälter sind direkt gekoppelt an die Sicherheitslage. Warum sollten die ihren Heimatländern melden, Afghanistan ist sicherer geworden? Da würden sie weniger verdienen, die wären doch blöd!"
So stauten sich in Kabul mittlerweile 2 000 Hilfsorganisationen, mit verhängnisvollen Folgen: Wohnraum werde immer knapper, die Mieten explodierten, Prostitution und Glücksspiel blühe, am Stadtrand entstünden Slums, weil es immer mehr Afghanen in der Hoffnung auf einen guten Job in die Stadt zieht. Gut ausgebildete Einheimische verdienten da "das bis 50fache dessen, was ein afghanischer Hochschulprofessor verdient".
Bewusst setzt er deshalb mit seiner Hilfsorganisation nicht in Kabul, sondern bei der Landbevölkerung an. 1998 gründete Reinhard Erös gemeinsam mit seiner Frau Annette die "Kinderhilfe Afghanistan". Drei Gesundheitsstationen und 13 Schulen sind seither in den Ostprovinzen entstanden, zwei weitere sind im Bau. Die Initiative finanziert sich ausschließlich aus privaten Spenden, aus gutem Grund. Erös: "Wenn das mit Entwicklungshilfe passieren würde, müsste ich bei meiner Projektgröße allein fünf Mitarbeiter für Kontrolle und Abrechnung anstellen - alles Steuergelder, die der eigentlichen Entwicklungshilfe dann nicht mehr zugute kommen". Dass Bildung in vielfacher Hinsicht das A und O beim Wiederaufbau des Landes ist, spiegelt sich im Motto seiner Arbeit wider: "Kampf gegen die Dummheit mit Tinte statt Blut".
Dr. Reinhard Erös wurde für sein Afghanistan-Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Europäischen Sozialpreis ausgezeichnet. Er berät den Bundestagsausschuss "Entwicklungshilfe" bei Projekten in den Ostprovinzen. Spendenkonto seiner "Kinderhilfe Afghanistan": Liga Bank Regensburg, Konto 132 5000, BLZ 750 903 00.
© Schwäbische Post 17.3.2005

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