Süddeutsche Zeitung Magazin vom 25. April 2003
Bald werde ich meinen Verwandten E-Mails schreiben können
Sudaf Rahmani, 15, ist Schülerin an der Allaei Mädchenschule in Jalalabad, Afghanistan. Die Schule wird von der deutschen »Kinderhilfe Afghanistan« geführt und ist die einzige in Afghanistan, die Mädchen an Computern ausbildet.
DAS INTERVIEW führte : PHILIPP OEHMKE
Herzlichen Glückwunsch, Frau Rahmani, seit einer Woche haben Sie an Ihrer Schule Computerunterricht - als eine der ersten Frauen Afghanistans. Wie war's bis jetzt?
Gar nicht so schwer. Allerdings noch ein bisschen theoretisch. Wir haben gelernt, was RAM ist und die CPU. Was ist denn eine CPU? Das müssen Sie doch wissen! Sie kommen aus Europa! Das ist der Prozessor. Das Ding, das den Chip bedient und alles berechnet. Die CPU ist der eigentliche Computer, sie macht die Arbeit. Nur was ich nicht verstehe: Sie ist klitzeklein, doch ein Computer ist sehr groß. Wir haben noch nicht gelernt, wofür man den ganzen Rest braucht.
Sie haben am Computer selbst bis jetzt noch gar nichts gemacht?
Doch. Sie haben uns beigebracht, wie man ihn hochfährt. Das ist ja schon kompliziert. Einen Computer schaltet man nämlich nicht einfach an wie ein Radio. Man fährt ihn hoch. Im Englischen heißt das »booten«, sagt die Lehrerin.
Verzeihen Sie die Frage, aber was bringt es einem Mädchen in Ostafghanistan, mit einem Computer umgehen zu können?
Jobs bringt es. Ich gucke oft in die Zeitungen, da stehen Jobangebote, wo es heißt: Mitarbeiter mit Computerkenntnissen gesucht.
Auch Frauen?
Auch Frauen. Die Taliban sind weg. Wir müssen keinen Schleier mehr tragen und dürfen arbeiten. In Jalalabad sitzen viele Hilfsorganisationen. Die brauchen einheimische Angestellte, die sich auskennen und Paschtu sprechen. Wir Frauen müssen sogar arbeiten, finde ich, wenn wir dieses Land wieder aufbauen wollen.
Und dann? Was genau wollen Sie am Computer machen?
Na, übers Internet kann man jeden auf der Welt erreichen. Ich könnte meinen Verwandten E-Mails schreiben und ihnen mitteilen, wie es min geht. Viele von ihnen sind nach Amerika oder Deutschland geflohen. Telefonieren ist in Jalalabad sehr kompliziert. Bald werde ich nur noch meinen Computer anschalten und meine Verwandten werden wissen, ob es mir gut geht. Ich habe auch gehört, dass ich im Internet meinen Gesprächspartner sehen und hören kann. Stimmt das?
Gehört habe ich das auch schon.
Sie haben das noch nie gemacht? Schade. Ich habe mir Europa so vorgestellt, dass die Menschen vor riesigen Bildschirmen sitzen und da sind ihre Freunde drauf und jeder redet mit jedem.
Sie dürfen nicht zu hohe Erwartungen in die Computer setzen. Sie stürzen auch immer ab.
Abstürzen? Vom Tisch? Was meinen Sie?
Nichts geht mehr. Man tippt und es passiert gar nichts.
Das hatten wir neulich auch schon! Wir wollten ihn zurückbringen zum Händler, aber das ging nicht, denn der Händler sitzt in Peshawar in Pakistan. Dafür hätten wir über den gefährlichen Khyber-Pass gemusst. Das ist nicht einfach.
Können Sie sich vorstellen, dass bei uns Informatik eins der ungeliebtesten Fächer in der Schule ist? Gilt als total langweilig.
Nein. Ich liebe es! Ich gehe überhaupt sehn gern zur Schule.
Auch das ist bei uns eher ungewöhnlich.
Das kann ich überhaupt nicht verstehen. Während den Taliban-Zeit war die Schule fünf Jahre lang geschlossen. Das war die traurigste Zeit meines Lebens. Darum bin ich so froh, dass die Taliban weg sind. Andererseits war aber auch alles sicherer hier.
Was gefällt Ihnen so sehr an der Schule?
Hier in Jalalabad gibt es für Mädchen oder Frauen allgemein nicht so viel zu tun. Wenn wir nicht zur Schule gehen, sitzen wir zu Hause. Den ganzen Tag. Machen Hausarbeit. Wir können hier nicht einfach mal rausgehen, in die Stadt oder so. Dort gibt es nichts, was Frauen tun könnten.
Manche Männer hier haben mir gesagt, Mädchen hätten in der Schule nichts zu suchen.
Natürlich. Davon gibt es viele. Aber sie meinen es nicht böse. Sie glauben das wirklich.
Das macht Sie nicht wütend?
Nein. Und meine Eltern und Brüder sind ja zum Glück nicht so. Mein Vater ist Beamter in der Stadtverwaltung und er findet es richtig, dass ich zur Schule gehe. Er fährt mich sogar jeder Morgen mit dem Auto.
Trauen Sie dem Frieden im Afghanistan?
Ich weiß nicht. Eigentlich kenne ich nun Krieg Selbst wenn die Bomben wieder kommen ich bin dran gewöhnt. Ich gehe weiten in die Schule und werde Journalistin oder Computertechnikerin.
|